Hospizbewegung Gmunden
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Über (das) Leben - danach
Erster Suizidversuch
Eine junge Frau kommt nach der Erstversorgung und Operation auf die Intensivstation. Es ist mitten in der Nacht und es war ihre unmissverständliche Absicht, mit dem Aufschneiden der Pulsadern, ihr Leben zu beenden - zu sterben. Langsam wird sie wach und ich frage sie, ob sie Schmerzen hat. Was redet man mit einem Menschen, der gerade versucht hat, sich das Leben zu nehmen? Ist es gut oder schlecht, nach dem Wieso zu fragen? Soll ich nach dem Grund fragen? Oder überhaupt was fragen? Tausend Fragen winden sich durch meinen Kopf.
Die Verbandskontrolle ist ok und die Patientin schläft wieder ein. Als ich wieder nachsehe, bemerke ich, wie die junge Frau ganz still weint, völlig starr im Bett liegend, um ja nicht einen Alarm zu provozieren. ´Soll ich ein bisserl dableiben?´ Wortlos nickt sie mir zu. Ich hülle sie besser in die Decke ein und lege meine Hand neben ihr am Bettrand ab. Ganz nahe legt sich die junge Frau heran und wird ruhig. Auf einmal weiß ich unzweifelhaft klar, dass es so, wie es jetzt ist - gut ist. Ohne Fragerei und ohne kompliziertes Sinnen – einfach mit dieser Frau die augenblickliche Situation auszuhalten – Wortlos wahrnehmend.
´Was mir fehlt an manchen Tagen, kann ich oft nicht sagen. Schleichend schwindet mein Verstand…. und dann nimmst du meine Hand!´ (Doreen Kirsche).
Zweiter Suizidversuch
In suizidaler Absicht stürzt sich ein 16-Jähriger aus dem vierten Stockwerk eines Schul- und Internatsgebäude. Schwerst verletzt wird er stundenlang operiert und in Tiefschlaf versetzt. Es wird alles getan, um sein Leben zu retten. Sein Leben, das er (so?) nicht mehr wollte. Die Eltern hoffen jeden Tag auf Verbesserung und gute Nachrichten. Sie verstehen die Beweggründe ihres Sohnes nicht. Aus dem Nichts heraus, von einer – vermeintlich - heil geglaubten Welt, der Sturz in tiefe Dunkelheit. Die Aufwachphase gestaltet sich schwierig – aber für jemanden, der eigentlich nicht mehr aufwachen wollte, doch unzweifelhaft folgerichtig?
Es folgt eine gnadenlose Stille. Der junge Mann spricht kein Wort, nicht mit den Pflegenden und nicht mit seinen Eltern. Trotzdem fühlen alle um ihn herum, dass etwas passieren wird. Wie siedendes Wasser, das jeden Augenblick sprudelnd aufkocht. Die Explosion findet morgens bei der Körperpflege statt. Wortgewaltig, selbstverletzend, um sich schlagend, spuckend, aggressionsgeladen und anschuldigend. ´Ich werd´s wieder tun!!´ mit provokantem Blick schleudert er uns diesen Satz mit unwahrscheinlich zorniger Feindseligkeit entgegen - immer wieder.
Die Situation bleibt bis zu seiner Verlegung ausnehmend schwierig.
´Immer enger, leise, leise, ziehen sich die Lebenskreise. Schwindet hin, was prahlt und prunkt, schwindet Hoffen, Hassen, Lieben - und ist nichts in Sicht geblieben als der letzte Punkt´ (Theodor Fontane).
Dritter Suizidversuch
Seit einigen Wochen befindet sich eine 60-jährige Frau mit Depressionen in einer psychiatrischen Klinik. Es scheint, dass die Entscheidung, sich in stationäre Therapie zu begeben, richtig war. Besserung stellt sich gerade ein, als sie mit einem Gürtel um ihren Hals, an der Türklinke des Badezimmers, erhängt vorgefunden wird. Sie hatte eben wieder gelernt, Freude zu empfinden – ein mühsamer Weg, aber die Frau wirkte glücklicher. Glücklicher, weil es ihr ´scheinbar´ besser ging? oder glücklicher, weil sie den Mut aufgebracht hat, den endgültigen Entschluss gefasst hatte, zu sterben? Niemand weiß das.
Sie wird leblos vorgefunden und sofort reanimiert - erfolgreich. Erfolgreich im Sinne einer wiederaufgenommenen Herztätigkeit und selbstständigen Atmung. Die Hoffnung bleibt aufrecht, dass sich ihr Zustand langsam doch noch verbessern wird, dass die Frau aufwacht, dass sie sich mitteilen wird können – aber nichts davon passiert. Sie bleibt in einem komatösen Zustand.
´Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen, die sich über die Dinge ziehn. Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen, aber versuchen will ich ihn. Ich kreise um Gott, den uralten Turm, und ich kreise jahrtausendelang; und ich weiß noch nicht: bin ich ein Falke, ein Sturm oder ein großer Gesang´ (Rainer Maria Rilke).
Ich kann nicht sagen, wie diese drei Lebensgeschichten ausgegangen sind oder diese sich weiterentwickelt haben. Die dramatische Verzweiflung, die diese drei Menschen fühlten zum Zeitpunkt der Tat, musste unaushaltbar gewesen sein.
DGKP Karin Zwirzitz
Zeitschrift LW Ausgabe 1/2022 .