Hospizbewegung Gmunden
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Das gebrochene Herz – mehr als eine Metapher
Dass der Volksmund seit langem schon treffsichere Formulierungen für hochkomplexe medizinische Zusammenhänge hat, ist eine Tatsache. Es liegt einem etwas im Magen oder geht einem an die Nieren. Und es bricht etwas jemandem das Herz. Wahrer als bei oberflächlicher Betrachtung vermutet, wie Karin Zwirzitz und Dr. Helmut Mittendorfer von der Hospizbewegung Gmunden berichten.
Es ist ein wahrer Fall, den Karin Zwirzitz schildert: Morgen heiraten Pauline und Tom. Alles ist organisiert - vom Scheitel bis zur Sohle - inklusive Standesamt plus den Ringen. Fünf Jahre kennen sich die beiden und sind sich sicher, dass sie den weiteren Lebensweg als amtlich eingetragene Eheleute gehen möchten.
Doch zu Mittag ein Anruf von Tom: "Du musst alles absagen – ich liege im Krankenhaus – ich bin umgekippt." Wie bitte?
Tausend Gedanken winden sich in den Kopf von Pauline hinein. "Das ist jetzt nicht wahr, oder?! Alles ist doch organisiert! Was machen wir jetzt?" Tom ruft nochmals an und teilt Pauline mit, dass er entgegen ärztlichem Rat nach Hause entlassen werden möchte. Pauline weiß nicht, was gerade in ihr, mit ihr und rundherum passiert. Sie sagt ihm: "Das bringt doch nichts!" Ohnmacht, Sorge, Enttäuschung – alles miteinander und durcheinander – es bleibt dabei: Die Hochzeit muss abgesagt werden. Pauline fährt nach Hause und gute Freunde helfen ihr bei den notwendigen Telefonaten.
Eine standesamtliche Trauung ohne großen Lärm wäre geplant gewesen, aber es wäre die Ihre gewesen. Mit Stempel und Siegel ein Ehepaar ab morgen – es wäre so schön gewesen – ein zerplatzter Traum.
Tom ruft mehrmals bei Pauline und den Freunden an, während gerade die eigene Hochzeit gecancelt wird. Pauline fühlt sich nicht in der Lage, jetzt mit ihm zu sprechen.
Am Nachmittag bittet Tom Pauline, ihm am nächsten Tag seine Sachen ins Krankenhaus zu bringen.
Abends nimmt Pauline entgegen aller Gewohnheit ihr Handy mit ins Schlafzimmer und stellt es lautlos. Sie kann heute einfach nicht mehr und will nur noch schlafen. Viel zu früh wacht sie in den Morgenstunden auf und sieht die namenlosen Anrufe – in dem Moment, als sie aufs Handy sieht, weiß sie, dass Tom tot ist. An ihrem Hochzeitstag um 1:10 h ist ihr künftiger Ehemann von den Ärzten für tot erklärt worden.
Körperlich, geistig und seelisch totaler Schmerz, Eiseskälte, bis in den letzten Winkel schockgefroren. Der ganze Körper tut weh, wie erschlagen und der Kopf ist unfähig, auch nur einen einzigen klaren Gedanken zu denken. Stillstand auf allen Ebenen, bewegungsunfähig. Pauline hat das Gefühl, kaputt und zerbrochen zu sein.
Ihr Herz ist nichts als Schmerz, immer wieder fällt sie ohne Vorwarnung um. Das Gefühl, ein Scherbenhaufen zu sein – dabei dachte sie immer, sie sei unverwüstlich. Diese fortschreitend lähmende Dynamik entzieht ihr jeden Tag noch mehr Lebenskraft. Wochenlang findet Pauline keinen Ausweg aus dieser Abwärtsspirale und die Luft bleibt ihr weg. Toms plötzlicher Tod bleibt unfassbar für sie.
Pauline nimmt Hilfe an. Sie will wieder sie selbst sein, ihre Unbeschwertheit wieder fühlen und Freude empfinden können. Ganz einfach ihr "altes" Leben zurückhaben. Sie zieht in eine neue Wohnung, in der es ihr gut geht – vom ersten Tag an. Freunde haben für sie den Umzug organisiert, die Wände neu gestrichen und die Schränke eingeräumt. Trotzdem – Pauline sitzt alleine da. Es sind die kleinen Dinge, die ihr fehlen: das Beisammensein mit Tom, der Klaps im Vorbeigehen, seine Ruhe und sein freundliches Wesen. Einfach und unaufgeregt miteinander alt werden – so hätten sich die beiden eine gemeinsame Zukunft gut vorstellen können.
Langsam findet Pauline wieder in ihren Lebensrhythmus hinein, doch umso weiter scheint Tom sich zu entfernen. Das macht ihr Angst – sie will das nicht – und es tut weh. Abschied nehmen von Tom – die Endgültigkeit ist zur Wahrheit geworden. Im Kopf weiß es Pauline mit allen rationalen Gedanken, aber nun hat sich dieser Gedanke auch in ihr Herz eingeschlichen und darin Platz genommen. Sie weiß, es ist Zeit, Tom gehen zu lassen.
Diesen emotionalen Schmerz zu spüren und ihn dann wieder freizugeben, ist das notwendig? Notwendig, damit ein gebrochenes Herz heilen kann? Es ist ganz und gar nicht einfach. Es bleibt eine Narbe zurück und die Liebe wird als eine unsichtbare Erinnerung weiterbestehen.
Paulines Trauer wird wie ein Regenbogen sein, der nur durch die Liebe zu Tom und seine Liebe zu ihr entstehen konnte. Er wird das Leben wieder färben.
Dazu in Kasten:
Das Broken-Heart-Syndrom ist nicht nur eine Mär – es ist eine akut auftretende, meist kurzzeitige Beeinträchtigung der Herzfunktion, die sich meist mit den Symptomen eines Herzinfarktes zeigt: heftigste Schmerzen im Brustkorb, verbunden mit Atemnot und Übelkeit sowie Schweißausbrüchen sind die Symptome.
In gut der Hälfte aller Erkrankungen lässt sich auch eine Ursache für das Broken-Heart-Syndrom finden: Akute Stresssituationen und plötzlich aufgetretenes existenzielles Leid wie etwa ein Todesfall in der Familie, aber auch stärkste Schmerzen können dazu führen. Frauen sind häufiger davon betroffen als Männer.
Auch wenn die Vielzahl der Erkrankungen reversibel sind, können doch auch Komplikationen auftreten.
Die Befunde können einem Infarkt sehr ähnlich sein, bilden sich aber in der Folge meistens wieder zurück. Meist ist die Herzspitze betroffen und die linke Herzkammer typisch verformt.
Die Herzkranzgefäße sind jedoch nicht verschlossen, es bilden sich auch keine Narben im Herzmuskel.
Die Behandlung gleicht anfänglich der eines Herzinfarktes. Doch so keine Komplikationen aufgetreten sind, nehmen die Beschwerden im Idealfall innerhalb einiger Tage ab. Eine psychologische Begleitung ist meist hilfreich. In der Zukunft sollten stressauslösende Gegebenheiten nach Möglichkeit vermieden werden. Eine Abschlussuntersuchung nach einigen Wochen, bei der auch eine ursprünglich aufgetretene pathologische Beweglichkeit der Herzmuskelwand nicht mehr nachweisbar ist, bestätigt die Diagnose.
Dr. Helmut Mittendorfer MSc, PM.ME.